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Degradierte Doktoren

»Degradierte Doktoren« Stefanie Harreckers Band über die systematische Aberkennung der Doktorwürde von Promovierten der Ludwig-Maximilians-Universität während des Dritten Reichs

Der zweite Band der Reihe »Beiträge zur Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München«, den die Autorin Stefanie Harrecker und der Herbert Utz Verlag am 24. September 2007 einem geladenen Publikum im Senatssaal der LMU präsentierten, behandelt einen massiven Eingriff in die Autarkie des Wissenschaftssystems zur Zeit des Dritten Reichs.

Unter Anwesenheit des Rektors der LMU, Professor Bernd Huber, des Kuratoriumsmitglieds Dr. Hans-Jochen Vogel und des Herausgebers der neuen Reihe, Professor Hans-Michael Körner, betonten die Redner die herausragende Bedeutung der historischen Aufarbeitung des Titelentzugs an der LMU während der Nazi-Diktatur.

Die Autorin unterstrich in ihrer Ausführung, dass neben der Aufarbeitung der 183 einzelnen Schicksale von Emigranten und weiteren Opfern des Regimes auch die systematischen und wissenschaftsgeschichtlichen Mechanismen für das Gesamtverständnis der politisch motivierten Depromotion von Bedeutung sind.

Den Band schließt ein ausführlicher Dokumentationsteil ab, in dem alle Betroffenen entsprechend der Quellenlage vorgestellt werden und so aus der Anonymität einer Opferzahl heraustreten

Rede von Dr. Stefanie Harrecker zur Buchpräsentation am 24.09.2007 im Senatssaal der Ludwig-Maximilians-Universität München

Magnifizenz, Sehr geehrter Herr Dr. Vogel, sehr geehrte Damen und Herren,
[…]

news032 blochauf dem Titelblatt des heute präsentierten Buchs sehen Sie die Fotografien von sechs Personen. Sie stehen stellvertretend für jene 183 Betroffenen, denen die Universität München während des Nationalsozialismus den Doktortitel aberkannte. Eines der Porträts ist das Bild von Anna Bloch, einer jungen Frau, die sich im Jahr 1923 an der Univ. München einschrieb, um hier Medizin zu studieren. Das Foto stammt aus dieser Zeit, den 20er Jahren; die angehende Ärztin gab es bei ihrer Immatrikulation an der Univ. ab.

Von allen Fotografien, die in diesem Buch abgedruckt sind, bedeutet dieses Passbild etwas Besonderes für mich. Das liegt an dem Blick, den Anna Bloch dem Betrachter zuwirft. Der Blick hat etwas sehr Ernstes, vielleicht ein wenig Trotziges.
Für mich liegt auf jeden Fall aber auch etwas Forderndes darin. Die Forderung, die ich daraus herausgelesen habe, war diese: Die Entziehung der Doktorgrade so gründlich, so ausführlich und so umfassend zu untersuchen, wie es nur geht und wie es die Akten zulassen.

Ursprünglich war der Plan, die Auswirkungen des Doktorentzugs an der Universität München zu untersuchen, auf eine Darstellung ausgerichtet, die vor allem einen Überblick geben sollte. Dass jetzt eine umfängliche Studie vorliegt, in der jeder einzelne Fall genau beleuchtet und jede betroffene Person eingehend gewürdigt wird, das liegt – nicht nur, aber auch – an diesem Blick, der für mich wie eine Verpflichtung wirkte, die ich gern übernommen habe.

Den Doktorentzug gründlich zu erforschen, das bedeutet im Wesentlichen, von drei Seiten an das Phänomen heranzugehen:

Erstens von der Seite der gesetzlichen Rahmenbedingungen und der Täter, die diese Bedingungen schufen und sie umsetzten, zweitens, von der Seite der Betroffenen, also der Doktoren, denen ihr akademischer Titel aberkannt wurde und drittens vom Ende des NS-Regimes her gesehen, verbunden mit der Frage, wie die Universität nach 1945 mit ihren degradierten Doktoren umging.

Zu Erstens, den gesetzlichen Rahmenbedingungen: Diese waren während des Nationalsozialismus für alle deutschen Universitäten gleich, und doch gibt es hier einen speziellen Bezug zu München. Denn die Initiative für ein reichsweites Gesetz, das unliebsame Doktoren ihrer akademischen Würde beraubte, ging auf die Anregung des Münchner Jura-Studenten Karl Gengenbach zurück, der in mehreren NS-Studentenorganisationen aktiv war und der seinen Vorschlag bei den Behörden vorbrachte. Von ihm, einem Studenten aus München also, kam die Idee, allen Doktoren, die ins Exil emigriert waren und ihre deutsche Staatsbürgerschaft verloren hatten, auch noch den akademischen Grad zu nehmen. Die Mehrzahl der degradierten Doktoren aus München verlor ihren Titel aus diesem Grund. 129 der insgesamt 183 promovierten Akademiker und Akademikerinnen waren ausgebürgerte Emigranten.

Die übrigen (54) fielen aus anderen Gründen in Ungnade, zum Beispiel, weil sie gegen NS-Gesetze verstoßen hatten oder als Oppositionelle aktiv waren.

Für die Durchführung der Degradierung war ein Ausschuss aus Rektor und Dekanen verantwortlich. Ihnen war innerhalb der Gesetzesvorgaben ein kleiner Spielraum geblieben, in dem sie manche Titelentziehungen auch verhindern hätten können. Sie nutzten diesen Spielraum allerdings kaum.
In manchen Fällen entfaltete der Ausschuss im Gegenteil eine eilfertige Betriebsamkeit, etwa als er 1943 dem gerade verhafteten Widerstandskämpfer Kurt Huber den Doktortitel entzog. Dem Kollegen aus ihren eigenen Reihen sprach die Münchner Professorenschaft die akademische Würde ab, noch bevor er gerichtlich verurteilt worden war.

Damit sind wir bei dem zweiten Aspekt der Untersuchung, der Situation der Betroffenen. Schauen wir dabei wieder auf Anna Bloch, die Frau auf dem Titelblatt. Sie war 1929 promoviert worden und hatte dann die Univ. verlassen. Sie gehörte zu der Mehrheit derer, die emigrieren mussten. Ursprünglich stammte sie aus Polen, wohnte aber seit ihrem zweiten Lebensjahr in München. Als Jüdin floh sie, gemeinsam mit ihrem Ehemann, der auch Mediziner war, ins Ausland. Beide wurden 1939 ausgebürgert; den Doktortitel entzog ihr die Universität im Jahr darauf. Danach verliert sich ihre Spur. Ob Anna Bloch überhaupt je von ihrem Titelverlust erfahren hat, bleibt unklar, denn die Universität verständigte die Emigranten nicht eigens, sondern gab die Aberkennung des Doktortitels nur im Reichsanzeiger bekannt.

Dennoch konnte der Titelverlust einschneidende Folgen für die Betroffen haben: Denn wer keinen Nachweis über seine Qualifikation in die Emigration hatte mitnehmen können, dem verweigerte die Universität nachträglich eine Bescheinigung über die akademische Ausbildung. So sind in den Akten des Universitätsarchivs die Eingaben von zwei degradierten Ärzten enthalten, die 1940 aus den USA an die medizinische Fakultät in München schrieben, um ihre wissenschaftliche Eignung für den Arztberuf bestätigt zu bekommen. Die Zurückweisung, die sie durch die Ludwig-Maximilians-Universität erfuhren, bedeutete für sie, im Alter von über 50 Jahren an einer US-Universität erneut ein Studium beginnen zu müssen.

Für die meisten der Betroffenen aber lag eine akademische Karriere in der Emigration ohnehin in weiter Ferne. Der Augenarzt Ignaz Kach etwa versuchte sich in New York als Wirt einer Bierkneipe, bevor er nach wenigen Monaten im Exil starb. Der Germanist und Schriftsteller Kurt Kersten, der von der Schweiz in die Tschechoslowakei und von dort nach Frankreich geflüchtet war, musste bis Kriegsende in einem Internierungslager ausharren. Der Musikwissenschaftler und Komponist Martin Simon schließlich hielt sich bis zur Besetzung der Niederlande in Amsterdam mit Klavierstunden über Wasser – danach deportierte man ihn nach Theresienstadt, wo er ermordet wurde.

Die Art und Weise, wie kritiklos, wie selbstverständlich und bisweilen beflissen Rektor und Dekane im NS ihren ehemaligen akademischen Zöglingen die Doktortitel entzogen, kann einen heute verärgern und anwidern – überraschen jedoch kaum.
Es wäre eher erstaunlich, wenn gerade an der Universität, an der das sog. „Führerprinzip“ nach 1933 in allen Gremien durchgesetzt war, ein offener Widerstand sichtbar geworden wäre.

Anders verhält es sich mit der Situation nach 1945, dem dritten Schwerpunkt der Untersuchung. Im Zuge des Wiederaufbaus und der Neubesetzung von Professuren wäre es für die Universität durchaus möglich gewesen, schon bald, zum Beispiel durch eine öffentliche Erklärung den ausgebürgerten Doktoren ihre Titel wieder zuzuerkennen. Allein, dies geschah nicht – bis zum Jahr 1996. Die Universität schob die Initiative lange Zeit den Opfern zu. Wer seinen Titel wiederhaben wollte, musste von sich aus vorstellig werden. Viele Emigranten hatten von ihrem Titelverlust aber gar keine Kenntnis erhalten. Von den 129 ausgebürgerten Doktoren erhielten somit nur vier ihren Titel zurück. Insgesamt wurden in der unmittelbaren Nachkriegszeit nur vierzehn degradierte Akademiker in individuellen Verfahren rehabilitiert.

Diese jahrzehntelange Verdrängung ihrer eigenen Verantwortung brachte die Universität in manche fragwürdige Situation:

Im Jahr 1953 etwa ehrte die Universität Kurt Huber, indem sie ihm posthum den Doktortitel zurückgab, den sie ihm zehn Jahre zuvor entzogen hatte. Ausgerechnet der Rektor Mariano San Nicolò überreichte der Witwe Hubers in einer Gedenkveranstaltung die neu ausgestellte Doktorurkunde. San Nicolo war 1943 als Dekan der Juristischen Fakultät an der Degradierung Hubers beteiligt gewesen – doch das wurde im feierlichen Rahmen der Gedenkveranstaltung nicht thematisiert.

Ein anderes Beispiel:

Noch 1969 wusste die Juristische Fakultät nicht, wie sie den Titelentzug eines ihrer mittlerweile international berühmten Absolventen bewerten sollte. Es ging um den Rechtsgelehrten und Politologen Karl Löwenstein. Intern diskutierten die Professoren über die als peinlich empfundene Angelegenheit sehr wohl – allerdings ohne Löwenstein selbst einzubeziehen, zu dem sie ansonsten in engem Kontakt standen. Schließlich schwieg man das Problem einfach tot und vertuschte den Titelentzug aus dem Jahr 1941.

Diejenigen Personen, die in der Zeit des Nationalsozialismus ihren Doktortitel verloren und deren Namen und Schicksale wir heute im Einzelnen kennen, sind nicht mehr am Leben. Es ist ein Anliegen dieses Buches, den Opfern für die Nachwelt ein Gesicht zu geben und an sie zu erinnern. Aber: Es kann nicht die individuelle und persönliche Rehabilitierung ersetzen, die in den ersten Nachkriegsjahrzehnten versäumt wurde, als die meisten der degradierten Doktoren noch lebten. Das ist einfach nicht mehr möglich.
Somit ist die heutige Freude über das fertig gestellte Projekt auch mit einem deutlichen Unbehagen verbunden und das sollte meiner Meinung nach im Gedenken an die ehemaligen Absolventen der Ludwig-Maximilians-Universität auch so sein.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.