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Die „nicht physische“ Frankfurter Buchmesse 2020 – Ein Zukunftsmodell?

Verleger Matthias HoffmannEin Kommentar vom Verleger Matthias Hoffmann

Ein seltsames Jahr geht zur Neige, in dem viele neue Vokabeln Eingang in unseren Wortschatz gefunden haben. Nachdem wir bereits souverän mit „Inzidenzwert“, „Viruslast“, „Durchseuchung“ und „Übersterblichkeit“ jonglieren, gewöhnen wir uns langsam auch daran, dass eine Veranstaltung auch „nicht physisch“ stattfinden kann. In meiner Vorstellung sind „nicht physisch“ etwa Gedanken, Träume, Gefühle, der Glaube und weitere Spekulationen, die wir weder durch ein Fernglas noch durch ein Mikroskop beobachten können.

Aber man lernt nie aus: Am 8. September um 13.00 Uhr informierten die Veranstalter der Frankfurter Buchmesse die Aussteller darüber, „dass die physische Frankfurter Buchmesse in diesem Jahr nicht stattfinden wird.“ Im Umkehrschluss fand sie also „nicht physisch“ statt, sie wurde als „Special Edition“ beworben und bemerkenswerterweise auch mit einiger Berichterstattung bedacht.

Es ist eine Spitzenleistung des Messeveranstalters, angesichts der Pandemie nicht einfach ein schmollendes „Dann halt nicht!“ in die Welt zu setzen und alles beleidigt abzublasen, sondern die Aussteller dazu zu ermutigen, (wenigstens) digital ihre Bücher und Produkte zu präsentieren. Dahinter steht freilich auch ein wirtschaftliches Interesse, das Produkt „Frankfurter Buchmesse“ im Jahr 2020 nicht ganz verschwinden zu lassen, doch darum ging es wohl nur am Rande.

Ob nun jede Aktion als gelungen bezeichnet werden kann, ob man tatsächlich von einer „Preisverleihung“ sprechen kann, wenn weder Laudator noch Laureat anwesend sind, mag man verschieden beurteilen. Wichtig war und ist die Botschaft: Wir waren hier, wir sind hier, wir haben Ideen und lassen uns so leicht nicht unterkriegen.

Also hat man, so finde ich, das Beste aus der Situation herausgeholt; mehr ging einfach nicht. Das bedeutet für Hotellerie und Gastronomie in Frankfurt und Umgebung freilich auch nicht mehr als die blanke „Null“ an Messeumsätzen, aber die Veranstalter haben alles versucht, die Relevanz der Messe auch über die Pandemiezeit hinaus zu behaupten.

Leere Messehalle
Nikolay E – stock.adobe.com

Dass es ohnehin keine „normale“ Frankfurter Buchmesse hätte werden können, auch wenn sie – unter Pandemiebedingungen – „physisch“ stattgefunden hätte, war schon Monate vor dem Termin im Oktober absehbar gewesen. Zahlreiche große Verlage hatten ihre Teilnahme bereits ganz oder in großen Teilen abgesagt. Verständlich: Man schickt nicht Mitarbeiter wochenlang ins Homeoffice und lässt sie dann fröhlich mit Zug und Flugzeug auf die Messe fahren. Jeder weiß, dass schon in Nicht-Pandemie-Zeiten die Kollegen mindestens mit einem ordentlichen Schnupfen von der Messe zurückkommen. Dieser Verantwortung hätte sich kaum ein Geschäftsführer allen Ernstes stellen können.

Was 2021 und in den kommenden Jahren folgt, bleibt spannend: Messen sind teuer, nicht nur die Standmieten. Horrende Übernachtungspreise, wenn man seine Leute nicht im gemischten Sechsbettzimmer unterbringen möchte, sowie die Logistik, Auf- und Abbau, der Personaleinsatz und die Spesen lassen sich auf Heller und Pfennig in den Unternehmenszahlen nachweisen. (Sichere) Umsätze aus einem Messeauftritt jedoch nicht, zumindest nicht in den meisten Fällen. Wenn nun die Controller großer Verlage einst, wenn es um das Budget für den nächsten Messestand geht, argumentieren, man habe eigentlich auch ohne Leipzig und Frankfurt einen ganz ordentlichen Umsatz gemacht, könnte eine Entwicklung einsetzen, die diesen beiden Veranstaltungen weitaus gefährlicher wird als das hoffentlich nur einmalige „Ausfallen“.

Wie in so vielen Bereichen des Wirtschaftslebens wird man, auch wenn diese Pandemie erfolgreich bekämpft wurde, in puncto Messeteilnahmen nicht einfach so wieder zur Tagesordnung übergehen. Das hat etwas Positives, denn Prozesse und Gewohnheiten gehören stets überprüft, aber womöglich lässt sich die Einträglichkeit „physisch stattfindender“ Messen doch nicht ganz und gar berechnen. Immerhin geht es auch um den guten Sauerbraten im Parkhotel Diani und um die „Grie Soß“ und die gute Unterhaltung im Ebbelwoi Unser, die ich in diesem Jahr beide schmerzlich vermissen musste.

Messen rein digital als Zukunftsmodell? Nein. Aber in diesen Zeiten nimmt man, was man kriegt. Und hofft auf Besseres.