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„Marx zum Marktpreis“

Quo vadis Buchpreisbindung?
Im Magazin DER SPIEGEL Nr. 42/2020 beschrieb der Verlegerische Geschäftsführer des Klett-Cotta Verlags eine anrührende Erfahrung mit einer Kinderbuchhändlerin: Während des Lockdowns im März bestellte er seiner Tochter telefonisch bei seiner Stammkinderbuchhandlung neuen Lesestoff: „Der Laden war geschlossen, aber nach einem Telefonat packte die Inhaberin das empfohlene Buch und ein Hanuta in eine Plastiktüte und fuhr quer durch die Stadt. Kurz darauf baumelte das Paket an unserer Türklinke.“

Die kostenlose, exklusive Sofortlieferung und ein Hanuta obendrauf? Etwa ein Fall für den Preisbindungstreuhänder? Puh, nein! Ein Blick ins Gesetz zeigt klar, dass „Waren von geringem Wert oder Waren, die im Hinblick auf den Wert des gekauften Buches wirtschaftlich nicht ins Gewicht fallen“ vom Letztverkäufer abgegeben werden dürfen. Glück gehabt, ein Hanuta für die Verlegerstochter ist drin!

Dass so ein Vorgang in Deutschland aber überhaupt gesetzlich geregelt ist, mag einen verwundern, ist es doch im Handel gang und gäbe, dass gute Kunden und deren kleiner Anhang mal etwas extra bekommen. Zu Weihnachten darf es dann für den Stammkunden auch einmal eine gute Flasche Wein sein oder ein hochwertiges Messer … Der Buchhändler allerdings muss sich genau überlegen, ob seine „Zugaben“ preisbindungskonform sind oder ob er sich gar abmahnbar macht, wenn er die Kundenbindung stärken möchte.

Die Jungen Liberalen twitterten kürzlich den markigen Spruch „Marx zum Marktpreis! Buchpreisbindung abschaffen!“ und argumentierten: „Denn die Buchpreisbindung entbindet den Buckmarkt von Wettbewerb und schadet so durch die einseitig bestimmten Preise den Verbrauchern.“ In einem Folgetweet weisen die Jungen Liberalen darauf hin, dass auch die Monopolkommission bereits in einem Sondergutachten aus dem Jahr 2018 die Buchpreisbindung kritisch betrachtet hat: „Im Gegensatz zu einem Buchmarkt mit gebundenen Preisen ist jedoch zu beachten, dass sich auch im freien Preiswettbewerb eine Reihe von Wirkungen ergeben, die dem Interesse am Schutz des Kulturguts Buch dienen können. Ein freier Preiswettbewerb kann zur Entstehung und Ausbreitung effizienter Handelsstrukturen und Vertriebskonzepte beitragen. Er unterstützt die Entstehung alternativer Vertriebskonzepte und die Erschließung neuer Kundengruppen. Weiterhin sorgt er dafür, dass Kostenvorteile in Form niedrigerer Endkundenpreise weitergegeben werden und senkt die Markteintrittsbarrieren auf Handelsseite.“

 

Mängelexemplar

kelifamily – stock.adobe.com


Die Monopolkommission folgert weiterhin: „Aus der Sicht der Monopolkommission – nach Abwägung aller Gesichtspunkte – handelt es sich um einen schwerwiegenden Markteingriff, dem ein nicht klar definiertes kulturelles Schutzziel ‚Kulturgut Buch‘ gegenübersteht, dessen Auswirkungen ambivalent bzw. unklar sind und der der Marktentwicklung seit dem Erlass des Gesetzes nicht in angemessener Weise Rechnung trägt.“

Große Teile der Branche selbst sehen wiederum die Buchpreisbindung vollkommen unkritisch: Nur der Hauch eines Widerspruchs oder die Anregung, die tatsächlichen Auswirkungen der Preisbindung auf den Buchmarkt zu betrachten, werden umgehend empört zurückgewiesen.

Andererseits ist es ein offenes Geheimnis, dass schon auch mal ganze Paletten an verlagsneuen Büchern, die unter das Gesetz fallen, „gemängelt“ werden, um sie ohne großen Aufwand bedeutend günstiger an den Kunden zu bringen.

Ob es verhältnismäßig ist, den freien Markt und den Wettbewerb um die besten Ideen zu beschränken, um das Kulturgut Buch vermeintlich zu beschützen, hat der Gesetzgeber 2002 bejaht. Ob das Gesetz jedoch dem stationären Buchhandel und der Vielfalt der verlegten Titel tatsächlich hilft oder ob es innovative Vertriebswege verhindert, müsste von allen Seiten, auch von den Branchengrößen und vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels kritisch unter die Lupe genommen werden. Denn 2002 ist schon ganz schön lange her und der Markt hat sich sehr gründlich verändert.