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Phänomen »Wiesntracht«

woman 978135 1920Wiesnzeit im neuen Jahrtausend: Bierzeltdunst, bunte Fahrgeschäfte, saftige Grillhendl - Scharen von Menschen drängeln sich durch den alljährlichen Wiesnwahnsinn. Ein farbenprächtiges Merkmal verbindet sie: Etliche von ihnen tragen Tracht, in allen nur erdenklichen Variationen. Jedes Jahr aufs Neue wird die Weltstadt München so zum Laufsteg für Tausende von Trägern eines tief traditionellen Symbols. Aber was bewegt eigentlich den Studenten, was die Rentnerin dazu, im 21. Jahrhundert in Lederhose und Dirndl herausgeputzt über die Festwiese zu flanieren? In ihrer Studie »Phänomen Wiesntracht · Identitätspraxen einer urbanen Gesellschaft · Dirndl und Lederhosen, München und das Oktoberfest« stellt sich die Ethnologin Simone Egger dem Phänomen Wiesntracht, da sie mehr darin erkennt, als eine bloße Modeerscheiung. Der Trend um Dirndl und Lederhosen, so Egger, drückt »tiefer gehende Befindlichkeiten aus«. Er verweist auf »eine postmoderne Suche nach Verortung und Identität«.

oktoberfest 963155 1920Simone Egger nimmt die Tracht aus kulturwissenschaftlicher Perspektive in den Blick. Neben der historischen Annäherung an das Thema, lässt sie sich vor allem von den Ergebnissen ihrer eigenen Umfrage unter Wiesnbesuchern leiten, sowie von den vielen kleinen, aber stets präsenten Hinweisen auf Wiesnzeit, -outfit und »Alpencouture« in Flyern, Werbetexten oder Zeitungsartikeln. Gerade in den letzten Jahren erkennt Simone Egger einen regelrechten Trachtenboom, der sich auch bei der jungen Generation durchgesetzt hat.

Alpiner Chic ist dabei nur auf den ersten Blick alleine an Tradition gebunden. Die Auswahlmöglichkeiten an Farben, Schnitten und Stoffen aktueller Trachtenmode scheinen unbegrenzt. Und wer sich nicht völlig in bayerischem Gewand kleiden möchte, begnügt sich mit einem um den Hals gebundenen Schnupftuch oder trägt Turnschuhe zum Dirndl: »erlaubt ist, was gefällt«.

oktoberfest 967770 1920Doch die Wahl der Kleider drückt auch »Bedürfnisse, Sehnsüchte und Wünsche aus«. Als Symbol von Heimat- und Traditionsbewusstsein verweist die Tracht auf das Verlangen nach »Sicherheit und Satisfaktion«. Als Modeaccessoire mit scheinbar unbegrenzten Kombinationsmöglichkeiten, zielt sie auf Selbstabgrenzung aus der Menschenmenge. Die Tracht selbst wird so zum »Stilmittel urbaner Inszenierung«, das Phänomen Wiesntracht zur »Gratwanderung zwischen kollektiver Zugehörigkeit und individueller Abgrenzung«.

dirndl 473756 1920So setzt sich die Reihe »Münchner ethnographische Schriften« eindrucksvoll fort. Auch der erste Band der Reihe, Manuela Barths Studie »Messestadt Riem – Wo München abhebt · Diskursanalyse von Vorstellungsbildern eines neuen Stadtteils«, sorgte bereits für hohes Aufsehen. Weitere Titel sind schon in der Planung, so dass alles auf einen erfolgreichen und imposanten Reihenstart hindeutet.