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Die Universität München im Dritten Reich

Die Auseinandersetzung mit der eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit ist gerade für öffentliche Institutionen eine der zentralen Aufgaben. Die Ludwig-Maximilians-Universität nimmt diese Aufgabe sehr ernst und hat mit der jüngsten, im Herbert Utz Verlag erschienen Publikation einen weiteren wichtigen Schritt bei der Aufhellung dieses düsteren Kapitels ihrer Vergangenheit getan.

672 Seiten und gute 900 Gramm Gewicht sind für ein einziges Buch eine ganze Menge - und doch wird in diesem Werk nur ein Teil des relevanten Stoffes behandelt. »Die Universität München im Dritten Reich« lautet der Titel des von Elisabeth Kraus herausgegeben Buches. Es handelt sich dabei um Band 1 der Reihe »Beiträge zur Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München«.

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Hildegard Hamm-Brücher im Gespräch mit Verleger Herbert Utz

Bereits 2002 hatte der damalige Rektor der LMU, Andreas Heldrich, das Projekt initiiert und für die systematische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit die nötigen Mittel zur Verfügung gestellt. In den 16 einzelnen Aufsätzen des Sammelbands richtet sich der Blick gleichermaßen auf Institutionen wie Personen, Fächer wie Fakultäten innerhalb des breiten Spektrums zwischen Anpassung und Widerstand.

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Hans-Jochen Vogel mit Herbert Utz

Der Sammelband wurde am 28. September 2006 in einer feierlichen Veranstaltung im Senatssaal der LMU vorgestellt - in Anwesenheit von Kuratoriumsmitgliedern der Universität wie Albert Scharf, Hans-Jochen Vogel und Hildegard Hamm-Brücher. Der Rektor der LMU, Professor Bernd Huber, betonte, dass mit diesem Projekt ein Zeichen gesetzt sei, dass diese Zeit weder bei Lehrenden, Studierenden und Mitarbeitern noch in der Öffentlichkeit in Vergessenheit geraten darf.

Enthalten sind komprimierte Examensarbeiten, Vorstudien zu umfassender konzipierten Werken sowie Aufsätze, die seit Beginn des Projekts in Workshops, Lehrveranstaltungen und Gesprächsrunden entstanden sind. Der Beiträge zeigen eindrucksvoll die Verstrickung einzelner Personen, ganzer Gruppen und auch Institutionen in die nationalsozialistische Ideologie. Weitere Ergebnisse des Forschungsprojekts werden in Kürze in einem zweiten, themengleichen Teil veröffentlicht werden.

Rede von Prof. Dr. Elisabeth Kraus zur Buchpräsentation am 28.9.2006 im Senatssaal der Ludwig-Maximilians-Universität München

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

IMG 4873„Bilanz und Auftakt“, so lautete das Motto der Veranstaltung, auf der vor gut vier Jahren dieses Forschungsprojekt, an gleicher Stelle übrigens und vor annähernd dem gleichen, interessierten Publikum, vorgestellt wurde. Um „Bilanz und Auftakt“ geht es nach wie vor bei meinen heutigen Ausführungen, und dasselbe Motto könnte auch Untertitel unseres Aufsatzbandes sein. Das klingt zunächst nach Stagnation, nicht nach Fortschritt, und in der Tat: Auch nach 4 Jahren liegt keine umfassende, die Dozentenwie die Studentenschaft, alle Fakultäten und zudem noch die wichtigsten Disziplinen einschließende Gesamtdarstellung der Universität München in der Zeit des Nationalsozialismus vor.

Verantwortlich dafür sind, wie überall sonst auch, in erster Linie die Chefs: Das Rektorat nämlich hat seinerzeit einen Historiker mit dieser Aufgabe betraut - eine naheliegende, aber schwerwiegende Entscheidung! Diese Spezies von Wissenschaftlern neigt zwar nicht zur Langsamkeit, wohl aber, wenn sie es ernst nimmt, zur Gründlichkeit bei der Einbettung und Erschließung eines Themas, zu Beharrlichkeit und Umsicht bei der Suche nach ungedruckten und gedruckten Akten, staatlich-offiziellen wie persönlichen Dokumenten und zu differenzierten Urteilen jenseits von Schuldzuweisungen, plakativ formulierten Verurteilungen und verbalen Hinrichtungen. Anders gibt es auch keinen geschichtswissenschaftlichen Fortschritt, und eine lediglich kursorische, episoden- und anekdotenhafte Überblicksdarstellung zu verfassen, womöglich um sich einer aus falsch verstandener political correctness entsprungenen, gleichsam lästigen Pflicht irgendwie zu entledigen, das wäre vielen und vielem nicht gerecht geworden: meinem Anspruch ohnehin nicht, keineswegs auch einer so traditionsreichen, herausragenden wissenschaftlichen Einrichtung wie der Universität München, erst recht aber nicht der in Frage stehenden wirkungsmächtigsten und folgenschwersten Epoche deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts. Angesichts der Bedeutung dieses vergangenen Jahrhunderts für die Wissenschafts- und Universitätsgeschichte konstituierte sich beispielsweise 1999 an der Universität Jena eine Senatskommission, die von Historikern auf der Basis von 4 1/2 BAT-Stellen für die Dauer von 9 Jahren, in umgerechnet also 40 Forscher-Jahren, eine Gesamtdarstellung der Uni Jena im 20. Jahrhundert erarbeiten läßt. Ich hoffe, ich habe jetzt die Erwartungen an den Extrakt von 4 Forscher-Jahren gebührend gedämpft und erläutere im Folgenden, daß und inwieweit wir, meine Autoren und ich, dennoch nicht auf der Stelle getreten sind. Die bilanzierende Inventur fördert, ausgehend von einigen seit längerem vorliegenden Fächer- und Institutsgeschichten auf knapp 700 Seiten in zweierlei Hinsicht Neues und für künftige Forschungen unseres Erachtens Grundlegendes zutage: In einschlägigen Lehrveranstaltungen und Forschungskolloquien, v.a. in einem über 4 Semester betriebenen Workshop diskutierten intensiv und ausdauernd 2 Dutzend junge Historiker und fachgeschichtlich Interessierte aus anderen Fakultäten unserer Universität. Der Ertrag daraus besteht zum einen in der feineren Zurichtung der methodischen Ansätze und Zugriffe, einer weiteren, auch buchstäblichen, Auffächerung der Fragestellungen und einer auf Machbares zugeschnittenen Parzellierung der Untersuchungsfelder. Dieser methodologische Ertrag wird, so hoffe ich zumindest, in allen Beiträgen deutlich, sei es in den Vor- oder den Schlußbemerkungen, in Aufbau und Argumentationsgang, konzentriert freilich erst in meiner Aufgabenstellung für weitere Forschungsbemühungen am Ende des Aufsatzbandes.

Der sachlich-fachliche Ertrag besteht in der quellengestützten Diskussion und fallbezogenen Beantwortung der alle Beiträge mehr oder weniger überwölbenden Leitfrage nach dem Verhalten von Einzelpersonen oder Personenverbänden, von Instituten und Institutionen und der in ihr betriebenen Wissenschaft innerhalb des Spektrums von Anpassung und Widerstand. Wie sah es also bei dem einzelnen Institut oder Seminar, dem Hochschullehrer oder der Studentengruppe, bei der einen oder anderen mit der LMU vernetzten Einrichtung konkret aus mit der Gleichschaltung oder gar Selbstgleichschaltung, mit der Indienstnahme oder gar der eigenen Indienststellung für die Zwecke des Regimes, mit Opportunismus und Karrierismus, mit Gleichgültigkeit und Resignation, mit Renitenz und Resistenz, mit Opposition und Aufbegehren? Wie stand es um das Verhältnis von völkisch-rassistisch kontaminierter und wertneutraler Wissenschaft? Anders und sehr verkürzt gefragt: Wie gestaltete sich im Einzelfall die Auseinandersetzung zwischen dem Politischen und dem Fachlichen? Worauf lag der Primat bei Promotionen und Habilitationen, bei den Berufungskommissionen, in der Lehre, in der Forschung, im Alltag der Institute und bei den Festen der Universität? Inwieweit war - noch stärker verkürzt gefragt - die Universität München im Nationalsozialismus auch eine nationalsozialistische Universität?

Ich habe Sie jetzt lang genug auf die Folter gespannt: Sie wollen zurecht Konkretes von mir hören, ich werde aber nur so viel preisgeben, um bei Ihnen Lust auf Lektüre zu wecken. Die Aufsätze unseres ersten Sammelbandes lassen sich hinsichtlich des Erkenntnisfortschritts in drei Kategorien einteilen:

1) Zwar liefern alle Beiträge neue Erkenntnisse, die folgenden vier Studien aber erste Forschungsergebnisse zu ihren Themen überhaupt. Hier wird eine Fülle empirisch gesättigter und gesicherter Befunde erhoben und damit neues Wissen geschaffen. Veronika Diem entfaltet die Gründungs- und Frühgeschichte des Münchner Studentenwerks und seiner Gründerpersönlichkeit Friedrich Beck. Als Pazifist und in der sozialstudentischen Arbeit geschulter Aktivist wurde Fritz Beck im Zuge der sog. „Röhm-Affäre“ in der Nacht zum 1. Juli 1934 ermordet. Mit ihm hatten die Nazis einen langjährigen, unliebsamen Gegner aus dem Weg geräumt, der in jahrzehntelangem Wirken breite gesellschaftliche Unterstützung und das Wohlwollen einflußreicher Persönlichkeiten auf lokaler, nationaler und sogar internationaler Ebene gewinnen konnte für den Aufbau einer für viele andere Universitäten vorbildlichen studentischen Selbsthilfestruktur. Nach Becks Tod wurde das Münchner Studentenwerk als Geschäftsstelle des „Deutschen Studentenwerks“ gleichgeschaltet. Materielle und ideelle Unterstützung erhielten fortan nur noch Studenten, die den nationalsozialistischen Vorstellungen einer Förderungswürdigkeit entsprachen.

Eine weitere, mit der LMU eng verbundene Einrichtung dürfte nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ebenso wenig im Geiste ihres Gründers für die Münchner Studentenschaft gewirkt haben, auch wenn dies im einzelnen aufgrund eklatanter Aktendefizite nicht geschildert werden konnte. Die Universitätsreitschule war eine der letzten Schenkungen, die der große Mäzen, promovierte Kunsthistoriker, Erfinder des Kreisel-Kompasses und enger Freund von Albert Einstein, der Ehrendoktor und Ehrenbürger der LMU, Hermann Anschütz-Kaempfe, der Universität München 1932 posthum machte. Eingehend beschreibt Indra Schöller diese facettenreiche und generöse Stifterpersönlichkeit: So gründete Anschütz-Kaempfe beispielsweise 1919 eine mit einer Million Mark ausgestattete Stiftung für Physik, Chemie und Naturwissenschaften und schenkte zwei Jahre später sein Schloß Lautrach bei Memmingen der Universität. Seine Motivation speziell bei der Errichtung der Universitätsreitschule und ihrer Überlassung durch seine Witwe war es dabei, den reitwilligen Studenten der LMU unabhängig von Herkunft und materieller Lage die Möglichkeit zu geben, diesen von ihm, mehr noch seiner Frau geschätzten Sport zu günstigsten Konditionen auszuüben. Ein Passus im Schenkungsvertrag entsprach voll und ganz der liberalen politischen Orientierung des Ehepaars Anschütz-Kaempfe: Die beschenkte Universität München sollte stets Sorge tragen dafür, daß die Reitschule auch künftig „auf vollkommen paritätischer Behandlung der Reit-Kunden und Reit- Stipendiaten Bedacht nehmen und gegen etwaige Störenfriede aus politischen, konfessionellen oder Rassegesichtspunkten alles tun (wird), um Umtrieben von solcher Seite wirksam zu begegnen“.

Auch der Beitrag von Nicole Kramer widmet sich einem Segment studentischen Lebens in der NS-Zeit, dem Studentenaustausch an der LMU. Am Beispiel der Tätigkeit der Akademischen Auslandsstelle München werden ebenso Organisation wie Programmatik und natürlich auch die Teilnehmer des Studentenaustauschs beleuchtet. Hierbei vollzogen sich die Veränderungen nach 1933 nicht nur in Form einer Gleichschaltung „von oben“, vielmehr nutzten der DAAD und das Akademische Auslandsamt die neuen politischen Rahmenbedingungen, um ihre schon vorher gehegten Gestaltungsabsichten auf Kosten anderer Träger des akademischen Austauschs durchzusetzen. Sie wurden nicht gleichgeschaltet, sondern fungierten selbst als Gleichschaltungsmotoren. Ebenfalls auf bestehenden Ideen beruhte die Programmatik des nationalsozialistischen Studentenaustauschs. So band das offizielle Konzept des DAAD „Verstehen zwischen Völkern“ den Studentenaustausch in die NS-Weltanschauung mit ein. Aber selbst unter den Bedingungen des Nationalsozialismus gelang die Lenkung des Studentenaustauschs nur zu Teilen. Konfrontiert mit einer fremden Kultur, reagierten die Studenten unterschiedlich: Ausländische Studenten zeigten sich teils begeistert vom Nationalsozialismus, teils verstärkte der Studienaufenthalt aber auch ihre Kritik. Auf deutsche Studenten wirkte der Auslandsaufenthalt als Perspektivwechsel. Nicht alle kehrten als noch bessere Deutsche ins Heimatland zurück, in einigen Fällen förderte die Erfahrung im Ausland die Kritik am Nationalsozialismus, wobei ihn allerdings nur ganz wenige völlig in Frage stellten.

Neuland betritt auch Andreas Raith mit seiner Darstellung der Wehrmachtsfernbetreuung an der LMU in den Jahren 1940 bis 1945. Anhand erhalten gebliebener Feldpostbriefe der Fakultäten, 14 an der Zahl, und Akten der Betreuungsstelle werden Organisation, Richtlinien und Formen der Kontaktaufnahme und Kontaktwahrung zwischen der Universität München und ihrer in der Wehrmacht dienenden Studenten beschrieben. Definitiv, das läßt sich jetzt zumindest mit Blick auf die LMU sagen, konnte die Wehrmachtsfernbetreuung keinen Ersatz bieten für ein regulär am Hochschulort absolviertes Studium. Die mitunter fast 70 Druckseiten umfassenden Feldpostbriefe der Fakultäten enthielten entweder Einführungen in verschiedene Studiengänge und Studienrichtungen einer Fakultät und/oder Aufsätze zu speziellen Fachthemen. Die wenigen erhaltenen, dann aber durchwegs positiven Quellenbelege deuten zwar auf eine grundsätzlich hohe Akzeptanz der universitären Bemühungen unter den Betreuten hin, dies kann aber nicht verhehlen, daß die Wehrmachtsfernbetreuung in Gestalt von Feldpostbriefen und Vortragsreihen, sog. „Wehrmachtskursen zur Berufsförderung“, den Studenten nur organisierte Abwechslung und Zerstreuung in den Ruhezeiten während des Kriegsgeschehens bot, jedoch keine wissenschaftliche Weiterbildung.

In einer weiteren, zweiten Kategorie lassen sich Beiträge zusammenfassen, die, aufbauend auf einigen, bereits bekannten Fakten, das schemenhaft vorhandene oder nur partiell gesicherte Wissen wesentlich erweitern und vertiefen und etwa anhand erstmals ausgewerteter oder aber auch neu zugänglich gewordener Akten nicht nur eingehender schildern, sondern auch erheblich differenzierter bewerten. So etwa kann Michael Behrendt auf der Basis umfangreicher Aktenstudien, auch und insbesondere der Unterlagen des vom Senat eingerichteten Untersuchungsausschusses, die Handlungsweisen aller im sog. Nawiasky-Skandal vom Frühsommer 1931 involvierten Kräfte aufdecken und in ihrer interdependenten Wirkung beschreiben. Die Ereignisse um den Staatsrechtler jüdischer Herkunft, Hans Nawiasky, zeigen einen erschütternden Gegensatz zwischen dem Handlungswillen zum einen der Universität und zum anderen der Nationalsozialisten, die eine Äußerung in einer Vorlesung Nawiaskys in eine vermeintliche Rechtfertigung des Versailler „Diktat- und Schandfriedens“ umbogen. Dem energischen, zielgerichteten Handeln der Nationalsozialisten in Gestalt v.a. des NS-Studentenbunds stand die Unentschlossenheit und Passivität der Universitätsleitung gegenüber. Ihr Anliegen war nicht primär die Verurteilung der Anführer des Aufruhrs, der immerhin zur Schließung der gesamten Universität für eine Woche führte, sondern die Wiederherstellung der „akademischen Ordnung“, auf Kosten freilich des Opfers und mit Zugeständnissen an die Nazis. So hielt es der vom Senat eingesetzte Untersuchungsausschuß noch nicht einmal für nötig, Nawiasky selbst vorzuladen. Bei den Unruhen des Sommers 1931 handelte es sich nicht, das dürfte jetzt eindeutig feststehen, um einen inneruniversitären Konflikt zwischen aufgebrachten, nationalistischen und nationalsozialistischen Studenten und ihrem Professor. Der Konflikt wurde von außen in die Universität hineingetragen; sie war lediglich das Feld, auf dem der tagespolitische Kampf jener Jahre ausgefochten wurde. Hans Nawiasky war als Jude, Föderalist und Anhänger der Weimarer Republik kein zufälliges, sondern ein willkürliches Opfer, bei dem die Nazis ein Exempel statuieren wollten und dies nicht zuletzt aufgrund der mangelnden Gegenwehr von Seiten der Universität, ihrer Professorenschaft wie ihrer Leitung, auch statuieren konnten.

Über einige besonders prominente Mitglieder der Juristischen Fakultät der LMU einerseits und über die von Hans Frank, bayerischer Justizminister in den Jahren 1933/34 und späteren Reichsjustizkommissar im Juni 1933 im Bayerischen Justizministerium gegründeten „Akademie für Deutsches Recht“ andererseits sind wir bereits relativ gut unterrichtet. Inwieweit die Verbindung aber eine für beide Seiten vorteilhafte, nützliche Kooperation, darstellte, wissen wir jetzt erst genau durch die Studie von Susanne Adlberger. Das entscheidende Bindeglied zwischen der Akademie und der Juristischen Fakultät und damit auch der Universität war Wilhelm Kisch, seit 1916 Ordinarius für Bürgerliches Recht und Zivilprozeßrecht, im Studienjahr 1933/34 Dekan der Juristischen Fakultät und von ihrer Gründung bis 1937 Vizepräsident der Akademie für Deutsches Recht. Hans Frank hatte durch die Mitarbeit von Wilhelm Kisch eine angesehene Persönlichkeit aus der Wissenschaft gewonnen, die seinem Unternehmen das nötige Renommee in der gelehrten Welt, und zwar im Inland wie im Ausland, gab. Schließlich hatte der Einsatz von Wilhelm Kisch in der Gründungsphase und zumal bei der Rekrutierung der Rechtswissenschaftlichen Fakultäten des Reiches viele Kollegen von der wissenschaftlichen Ausrichtung der Akademie überzeugt. Auf der anderen Seite erreichte Kisch durch die Zusammenarbeit mit der Akademie für die Juristische Fakultät die Lösung ihrer jahrelang bestehenden Raumprobleme. Im Mai 1939 konnte dann endlich das „Haus des Deutschen Rechts“ eingeweiht werden, das auf dem Grundstück des Max-Joseph-Stifts sowohl die „Akademie für Deutsches Recht“ als auch die Juristische Fakultät der LMU beherbergte. Auch die Universitätsspitze hatte von Anfang an diese Kooperation unterstützt, indem sie für Jahresversammlungen der Akademie ihre repräsentativen Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt und Hans Frank sowie weitere führende Mitarbeiter der Akademie die Ehrenbürgerschaft der Universität München verliehen hatte.

In einem weiteren, umfangreichen Beitrag gewährt uns Petra Umlauf einen Einblick in ihre Forschungs- und Schreibwerkstatt. In ihrer im Entstehen begriffenen Dissertation untersucht sie Herkunft und Zukunft, Alltag und Festtag, Studien- und Lebensbedingungen, nationalsozialistisches, abwartend-passives und widerstrebendes Verhalten von Studentinnen an der LMU in Friedens- und Kriegszeiten. In Auswertung dreier großer Quellengruppen, so etwa von mehr als 60 Interviews mit ehemaligen Studentinnen, der Vorworte und Lebensläufe in über 1000 in der NS-Zeit von Frauen verfaßten Dissertationen sowie staatlichen oder Parteidokumenten, wie etwa der „Arbeitsgemeinschaft Nationalsozialistischer Studentinnen“ und ihrer Münchner Ortsgruppe, dürfte sie ihr Thema über die hier geleisteten ersten Annäherungsversuche hinaus weiträumig erschließen, das Feld erstmals tiefschürfend bearbeiten und eine vielfach aufschlußreiche, belegdichte Gruppenbiographie vorlegen können. Ein kleines, freilich gut geöltes und trefflich funktionierendes Rädchen im großen Räderwerk des nationalsozialistischen Kontroll- und Verfolgungsapparats, den Hausschlosser und Hörsaaldiener der LMU, Jakob Schmid, betrachtet Sönke Zankel u.a. anhand des erstmals ausgewerteten Nachlasses von Schmid. Dabei geht es ihm in seinem Beitrag nicht darum zu zeigen, wie der Mann, der die Geschwister Scholl festnahm, vom Helden - im Jahr 1943 - zum „Hauptschuldigen“ im Jahr 1946 wurde. Es geht ihm darum zu prüfen, warum Jakob Schmid trotz mehrerer Berufungsverfahren in dieser Kategorie auch verblieb und nicht zum „Mitläufer“ herabgestuft wurde, wie dies bei den anderen seinerzeit genauso, wenn nicht noch mehr involvierten, aber in der Universitätshierarchie höher stehenden Personen der Fall war. Im Gegensatz nämlich zu Kanzleisekretär Scheithammer und Syndikus Haeffner, die Entlastungsaussagen unbescholtener Universitätsprofessoren beibrachten, konnte Jakob Schmid nicht auf tragfähige soziale Netzwerke zurückgreifen. Dieses Defizit wurde noch durch die Tatsache verstärkt, daß Schmid als erster Angeklagter überhaupt vor der Münchner Spruchkammer stand und auch deshalb gegen ihn ein Schauprozeß geführt wurde. Bedenkt man, daß in Bayern bis 1949 lediglich 0,03 % der Meldepflichtigen in die Kategorie „Hauptschuldige“ eingeordnet wurden, nach dem ersten Spruch aber häufig genug Herabstufungen bzw. Begnadigungen erfolgten, wird die fragwürdige Verhältnismäßigkeit dieser speziellen Spruchkammerentscheidung im Falle Jacob Schmids deutlich.

In die unmittelbare Nachkriegszeit führt auch der Beitrag von Ellen Latzin über Theorie und Praxis der amerikanischen Reeducation-Politik und ihre spezifische Ausgestaltung an den bayerischen Universitäten. Als Vorstufe der Umerziehung, die den personellen Aspekt - im Sinne etwa eines Elitenaustauschs - gegenüber dem strukturellen und dem geistig-weltanschaulichen betonte, diente die Entnazifizierung von Studentenschaft und Lehrkörper. In deren Folge wurden in der US-Zone zwischen 35 und 50% des Hochschulpersonals suspendiert, dreimal soviel im übrigen wie in der britischen oder französischen Zone. Dies konfrontierte die Universitäten zunächst mit einem das Hochschulleben lähmenden Personalmangel und später mit der Rückkehr belasteter Professoren in ihre alten Positionen. Da es, auch bedingt durch die rasche Wiedereröffnung der Hochschulen, keine einheitlichen Standards gab, variierte die Entnazifizierungspraxis von Uni zu Uni. Eine detailgenaue und gezielte Untersuchung der Entnazifizierung an bayerischen Universitäten allgemein, speziell aber an der LMU, steht noch aus. Die Politik des sog. „Reinigungsausschusses“ etwa, die Rückberufspraxis, auch emigrierter Hochschullehrer und Fragen der Wiedergutmachung an ihnen, all dies ist noch immer eine Desiderat der Forschung, im übrigen auch für die allermeisten anderen deutschen Universitäten. Im anvisierten zweiten Aufsatzband nehmen sich zwei Beiträge einzelner Gesichtspunkte aus diesem großen und lohnenden Themenzusammenhang der „akademischen Vergangenheitsbewältigung“ an. Ich komme nun zur dritten Kategorie von Beiträgen, die zusammengenommen fast die Hälfte des Bandes ausmachen. Natürlich liefern bzw. bündeln auch sie neue Forschungsergebnisse zu ihren Themen in hohem Maße. Allerdings führen sie im Unterschied zu den bereits skizzierten Beiträgen in den Kernbereich einer modernen Universitätsgeschichte der NS-Zeit, weil sie - bei unterschiedlicher Schwerpunktsetzung - personen-, institutionen- und disziplingeschichtliche Fragen aufwerfen und diese nach dem eingangs skizzierten Antwort-Raster, wie insbesondere nach dem Verhältnis zwischen dem Primat des Fachlichen und dem Primat des Politischen, beantworten. Es sind dies die Aufsätze von Max Schreiber über die Klassische Philologie, von Thomas Beckh über das Institut für Ägyptologie, von Karsten Jedlitschka über den Münchner Neuzeithistoriker und „Professor von Hitlers Gnaden“, Ulrich Crämer, von Verena Kondziella und Markus Nadler über die Münchner Universitätsbibliothek und das Gerangel um die Wiederbesetzung der Direktorenstelle in den Jahren 1938 bis 41 sowie Veronika Weidenhöfers Überblick über die Tiermedizinische Fakultät der LMU vom Ende der 1920er Jahre bis zu ihrer Schließung im September 1939.

Aus diesen Beiträgen eine Quersumme zu bilden und in bilanzierender Absicht daraus für die Untersuchung anderer Fächer und Einrichtungen der Uni München verifizierbare Thesen zu formen, ist schlechterdings nicht möglich. Die Repräsentanz der Fallbeispiele ist mit vielleicht einem Drittel der insgesamt - sei es vor dem oder im Zuge des Projekts - nunmehr als untersucht geltenden Fächer der LMU entschieden zu gering, als daß man sie mit derart hohen Deutungserwartungen konfrontieren könnte. Bei aller Disparität von Handlungen und Entscheidungen, Widersprüchlichkeit und Offenheit vieler Prozesse erlaube ich mir dennoch, systematisierende Beobachtungen und vorsichtige Vermutungen anzustellen. Die krassesten Beispiele für die Extreme der Handlungsvarianten von Hochschullehrern der LMU sind längst bekannt: auf der einen Seite fachlich völlig unzulängliche, fanatische NS-Parteigänger wie der Rassenhygieniker und Frauenarzt Lothar Tirala oder der Philosophie-Professor Wolfgang Schultz, und auf der anderen Seite natürlich Kurt Huber. Den vorhandenen Beispielen für die große Bandbreite von Verhaltensweisen dazwischen können wir nun weitere hinzufügen.

Erstaunlich häufig findet sich hierbei die Wahrung des fachlich-wissenschaftlichen Primats, selbst von NS-Dozenten, vor dem politischen. Natürlich war, mit Blick etwa auf Berufungen, die Kombination aus einem überzeugten, aktiven und nach Möglichkeit auch jungen Nationalsozialisten, der über herausragende fachliche wie didaktische Fähigkeiten verfügte, die Idealbesetzung. In wenigen Einzelfällen wie etwa bei den Altphilologen Rudolf Till und Franz Dirlmeier, traf dies sogar zu. Funktionärstum aber im allgemeinen und Lagerdienst im besonderen wurde in der Regel nicht als Ersatz für wissenschaftliche Leistung akzeptiert. Fachliches Können allein wiederum sicherte dagegen bestenfalls den Status, wie man am Beispiel des ständigen zweiten Mannes der Münchner Universitätsbibliothek, Walter Plöbst, gut sehen kann. Karriere im Sinne der Erringung von Spitzenpositionen ließ sich damit nicht machen. Dazu bedurfte es kampferprobter, forsch auftretender und mit vorauseilendem Gehorsam vorarbeitender NS-Parteigänger, wie dies Joachim Kirchner war. Aber selbst seine Berufung als Direktor der Universitätsbibliothek München blieb nicht ohne Widerspruch vonseiten seiner eigenen Parteifreunde, etwa in der Philosophischen Fakultät bzw. von Walter Wüst als Führerrektor. Die Meinungsverschiedenheiten, gestiftet möglicherweise auch von persönlichen Animositäten, deren Ausmaß und Reichweite man ohnehin nicht unterschätzen sollte, konnte in diesem Fall nur durch das massive Eingreifen von Reichsleiter Alfred Rosenberg beseitigt werden.

Das Optimale in beider Hinsicht, den fachlich bestens ausgewiesenen und politisch nicht nur zuverlässigen, sondern kämpferischen Nazi, stellte auch der Neuzeithistoriker Ulrich Crämer nicht dar, der nach Jahren der Lehrstuhlvertretung, Denunziationen und einem erfolgreichen Gnadengesuch beim obersten Parteigericht endlich mit 32 Jahren 1939 auf den Lehrstuhl Karl Alexander von Müllers berufen wurde. Damit rückte der eher anwendungsorientierte Wissenschaftler und Experte der Reichsreform trotz fehlender „kämpferischer Natur“ ins höchste akademische Amt an einer der angesehensten Hochschulen ein. Die Mechanismen des polykratischen Ämterdarwinismus durchschauend, hatte er zielorientiert mit seinem Eintritt in NSDAP und SS schon 1930 die Voraussetzungen seiner Karriere geschaffen, die aber nur deshalb so steil ausfiel, weil er sich in den hierbei konkret einflußreicheren NSSeilschaften bewegte; das war in seinem Falle der Schwarze Orden, die SS. Selbst da also, wo sich der Primat des Politischen gegen das Fachliche durchsetzte, geschah dies nicht unbedingt durch übereinstimmende Protektion des Kandidaten durch alle in den jeweiligen Berufungsprozeß involvierte Einrichtungen, wie etwa das Reichswissenschaftsministerium in Berlin, das Bayerische Kultusministerium, der sog. Stab Heß, Reichsleiter Rosenberg, die SS und ihr Ahnenerbe oder weitere Stellen. Sicherlich ist es schönfärberisch, das gesamte Ägyptologische Seminar der LMU, deren Dozenten und ordentliche Professoren als seinerzeit absolute Koryphäen auf ihrem Gebiet gelten können, als „Sammelstelle des Antinazismus“ zu bezeichnen, wie dies sein langjähriger Leiter, Alexander Scharff, im November 1945 getan hat. Gleichwohl ist die Förderung regimekritischer junger Fachkollegen und auch noch die Promotion von Studenten jüdischer Herkunft durch Scharff aktenkundig, wie er ebenso in seiner eigenen Schriftenreihe Juden und anderen Verfolgten die Möglichkeit bot, ihre Werke zu publizieren.

Ebensowenig wie bei der Ägyptologie gibt es auch, dies zeigt Veronika Weidenhöfer sehr eindringlich, in der Tiermedizinische Fakultät spektakuläre Fälle von politischer Einflußnahme etwa zugunsten eines Professors, eines Forschungsschwerpunktes oder einer Fachrichtung. Das Bild wird vielmehr bestimmt durch den jahrelangen gemeinsamen Kampf gegen die miserablen räumlichen Verhältnisse, durch Kontinuität in der Fakultätsleitung vor und nach 1933 sowie durch eine einheitliche politische Grundstimmung innerhalb der nationalkonservativ gesinnten Professorenschaft, in der es schon vor der NS-Machtergreifung keine Juden gab, und auch danach keine Amtshebungen oder andere politische Zwischenfälle. Aktenkundig sind freilich auch keine Beispiele für herausragendes Engagement von Professoren oder Studenten für Partei und NS-Staat. Veränderungen auf fachwissenschaftlicher Ebene lassen sich, wenn überhaupt, nur im Bereich des Instituts für Tierzucht erkennen, wo speziell Forschungsansätze gefördert wurden, die im Interesse des Vier-Jahres-Plans lagen. Die Disparität der Befunde dürfte in erster Linie dem Umstand geschuldet sein, daß die Fächer bzw. Fakultäten von Hause aus eine jeweils unterschiedliche NS-Affinität hatten, der Nationalsozialismus ihnen eine mal höhere, mal geringere Bedeutung für die Ausformulierung seiner Ideologie und die Rechtfertigung seiner rassistischen Eliminierungs- und geopolitisch-völkisch begründeten Eroberungspolitik zuwies. Die für einen weiteren Aufsatzband derzeit in Bearbeitung befindlichen Beiträge über das Pathologische Institut, die Münchner Kunstgeschichte, die Theaterwissenschaft, über die Münchner Neuzeithistoriker, die Theologische Fakultät und anderes dürften diesem noch recht konturenschwachen Bild zumindest neue Facetten hinzufügen. Sollte bei Ihnen, meine Damen und Herren, jetzt den Eindruck entstanden sein, bei diesem Sammelband handele es sich um ein Sammelsurium, einen Steinbruch, eine Reihe von Probebohrungen an unterschiedlichen Stellen des zu vermessenden Feldes, so täuscht dieser Eindruck keineswegs. Unser erster Aufsatzband verfolgt ganz bewußt einen nicht allzu hohen, dennoch klar umrissenen Anspruch: Auf dem Weg zu einer umfassenden, konturenscharfen Gesamtdarstellung, die nur in der Fülle historischer Forschungs- und Darstellungsweisen auf lange Sicht realisierbar sein dürfte, bildet er nur, aber immerhin, einen der größeren Streckenabschnitte. Er ist eingebaut und umrahmt, seine Beiträge werden vielfach erweitert und präzisiert durch eine Quellenedition, einige Monographien, etwa meine Darstellung der Staatswirtschaftlichen Fakultät oder Veronika Weidenhöfers Habilitationsschrift zur Geschichte der Tiermedizinischen Fakultät, durch Biographien zu herausragenden Hochschullehrern oder Führer-Rektoren, durch Gruppenbiographien und weitere Einzeldarstellungen.

Sie sind allesamt in Bearbeitung und sollen, zusammen mit vielen anderen, noch vorzulegenden Schriften, denn wie Sie sehen, besteht an lohnenden und behandelbaren Themen überhaupt kein Mangel, die noch immer zahlreichen Leerflächen ausmalen und das Bild der Universität München in der Zeit des Nationalsozialismus fertig zeichnen helfen. Dazu ist es nicht nur sinnvoll, sondern unabdingbar, daß der Blick geweitet wird auf die Jahre vor der NS-Machtergreifung einerseits und die unmittelbare Nachkriegszeit andererseits. So wird eine Charakterisierung und Profilierung dieser Epoche deutscher Geschichte im Gang der Wissenschafts- und Universitätsgeschichte und auch andersherum: dieser Epoche deutscher Wissenschafts- und Universitätsgeschichte im Gang der deutschen Geschichte allgemein überhaupt erst möglich.

Damit wir, die Autoren und ich, die Geschichte der Universität München in der Zeit des Dritten Reich zumindest unter diesen ausgewählten Aspekten beleuchten und so manches aufhellende Schlaglicht auf einzelne Personen, Institute oder Einrichtungen werfen konnten, ist an dieser Stelle vielen zu danken: zunächst dem Rektoratskollegium der LMU und dem Kuratorium sowie den Mitarbeitern der Münchner Bibliotheken und Archive, insbesondere des Universitätsarchivs, für deren unermüdliche Auskunftsfreudigkeit und stets gerne gewährte Teilhabe an ihrer Kompetenz. Es erfüllt mich mit Freude und Stolz, das möchte ich abschließend sagen, jungen hochmotivierten Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Fakultäten unserer Universität ebenso wie aus unterschiedlichen akademischen Generationen, vom fortgeschrittenen Studenten bis zur Habilitandin, in diesem ersten Aufsatzband eine Möglichkeit zur Publikation ihrer durchwegs akten- und sachkundigen, instruktiven wie innovativen Beiträge gegeben zu haben. Von ihrer uneigennützigen Kooperation untereinander und ihrem freimütigen Meinungsaustausch während seiner Entstehungszeit und im Rahmen des Workshops profitiert dieser Band in hohem Maße. Aus all unseren Diskussionen entwickelten sich etliche weitere Beiträge, vor allem zur Geschichte einzelner Fächer, Institute oder Lehrstühle, die, bei weiterer Unterstützung, in einem zweiten, themengleichen Teil des vorgestellten Sammelbandes veröffentlicht werden könnten. Ihnen allen, den bereits „gedruckten“ wie den noch „ungedruckten“ Autorinnen und Autoren gilt vor allem und allen mein Dank.