Literatur, Preisverleihungsstrategien und Konstruktionen des Nordischen
Literaturpreise sind einer der großem Eckpfeiler des Buchmarktes: Regional, national, trans- und international vertreten sind sie die Institution für den interessierten Leser. Es wird vorgeschlagen und evaluiert, was das absolute »Must-read« ist, selbstverständlich nach unterschiedlichsten Kriterien. Immer jedoch stehen ästhetischer und literarischer Anspruch im Fokus und für den Leser ergibt sich schließlich das Bild einer fachmännischen, unabhängigen und unvoreingenommenen Jury, welche uns mitteilt, was zum literarischen Wissensstand gehören sollte.
In seiner neuen wissenschaftlichen Studie untersucht Jürgen Hiller weit über ein solch oberflächliches Verständnis hinausgehend die Bedeutung und zugrundeliegenden Muster des prestigeträchtigen Literaturpreises des Nordischen Rates. In diesem eröffnet sich ein »literarisches Spiel-Feld« verschiedenster Dynamiken, welche Hiller kulturwissenschaftlich und mit empirisch-quantitativer Methode untersucht. Diesem Spannungsfeld, in dem Literatur und der Begriff des »Nordischen« zusammenkommen, nähert sich der Autor unter vier Schlagworten: Tendenzen, Praktiken, Strategien und Konstruktionen.
Während zunächst unter »Tendenzen« die Ursprünge und aktuellen Entwicklungen des Literaturpreises gefasst werden, setzen sich unter »Praktiken« eben diese zusammen, welche sich im Prozess der Literaturnominierung und Preisverleihung etabliert haben. Der Anspruch an literarische wie künstlerische Qualität sowie deren Vereinbarung mit einer möglichst hohen Vielfalt und der Berücksichtung und Förderung von Minderheiten spielen hier eine ebenso große Rolle wie das formale Prozedere des Nominierungsablaufs der beteiligten Länder. Unter »Strategien« ist das gezielte und geplante Einwirken auf den Nominierungsprozess zu verstehen: Erfolgsstrategien zur Erlangung des Preises, um auch über das mit ihm einhergehende Prestige zu Verfügen. Zuletzt stellt sich unter »Konstruktionen« die große kulturwissenschaftliche Frage, inwiefern dieser Preis als Bindeglied einer nordischen Kulturgemeinschaft zu verstehen ist. Handelt es sich bei dem »nordischen Charakter« um eine fassbare Größe, welche sich in den prämierten Werken wiederfinden lässt, oder wird dieser vielmehr erst durch diesen Vergabeprozess zugeschrieben? Und inwiefern herrscht überhaupt ein solches nordisches Selbstverständnis, wie es der Nordische Rat und seine Preise meinen zu repräsentieren?
Jürgen Hiller stellt in Bezug auf den Literaturpreis des Nordischen Rats einige Fragen, die auch für die Betrachtung weiterer Literaturpreise nicht zu unterschätzen sind. Gerade im Hinblick auf Erfolgsstrategien und die Frage nach den geforderten und repräsentierten Ansprüchen gilt es solche Preise kritisch zu betrachten. Und auch für die Diversität der von anderen Nationen oftmals in einen Topf geworfenen nordischen oder skandinavischen Länder öffnet Hiller mit seiner Arbeit die Augen.
Luisa Bott